Mutig sein und Inhalte kürzen – damit alle verstehen

| KEB (alle)

INTERNATIONALER TAG DER LEICHTEN SPRACHE AM 28. MAI

LIMBURG | Am 28. Mai ist Internationaler Tag der Leichten Sprache. Dieser Tag macht auf die unterschiedlichen sprachlichen Bedürfnisse der Menschen weltweit und hierzulande aufmerksam. Wer etwa mit geistiger Behinderung oder mit Lernschwierigkeiten lebt und wer nicht gut Deutsch spricht, kann amtliche Schreiben, Zeitungsartikel oder auch Texte im Internet oft nicht verstehen.
Die Psychologin Anne Badmann ist bei der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) die Fachfrau für Leichte Sprache.

Frau Badmann, was hat es mit der Leichten Sprache auf sich und welche Grundregeln gelten?
Anne Badmann: Leichte Sprache vereinfacht Texte auf zwei Ebenen. Zum einen erleichtert sie das Verstehen durch einfache Wörter, kurze Sätze und eine Konzentration auf das Wichtigste. Zum anderen verbessert Leichte Sprache die Lesbarkeit von Texten durch Gestaltungsmerkmale wie eine große Schrift, hohe Kontraste und viele Absätze. Bilder unterstützen das Textverständnis und die Lesemotivation. 

Wie viele Menschen in Deutschland brauchen die Leichte Sprache?
Anne Badmann: Während die Leichte Sprache ursprünglich für Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung gedacht war, ist inzwischen längst klar, dass wir mit Leichter Sprache eine ganze Reihe gesellschaftlicher Gruppen besser oder überhaupt erst mit unseren Botschaften erreichen. Die LEO-Studie hat 2018 gezeigt, dass über sechs Millionen Erwachsene in Deutschland nicht richtig lesen können. Mitbürger mit geringen Deutschkenntnissen sind da noch gar nicht mitgezählt. Hinzu kommen zum Beispiel noch Menschen, deren Sprachverständnis durch Krankheiten wie Alzheimer oder nach einem Schlaganfall eingeschränkt ist. Wir sprechen also über richtig viele Menschen, die zwingend auf Leichte Sprache angewiesen sind. Und natürlich sind viele andere ebenfalls froh, wenn eine Bedienungsanleitung gut verständlich ist, die Ärztin ohne Fachchinesisch auskommt und eine Internetseite aufgeräumt, kontrastreich und gut lesbar erscheint.  

Haben Sie Beispiele, wo Leichte Sprache im Alltag nützlich sein kann?
Anne Badmann: Überall da, wo es mir wichtig ist, dass meine Botschaften ankommen. Ich habe zum Beispiel zusammen mit Leiterinnen verschiedener Kindertagesstätten darüber nachgedacht, wie die Elternbriefe leichter lesbar gestaltet werden können. Unsere Lösung: Elternbriefe mit Vorder- und Rückseite. Auf einer Seite ein umfassender, höflich formulierter Brief. Auf der anderen Seite das Wichtigste in Stichpunkten. So kann jede Familie selbst entscheiden, welche Seite sie lesen möchte. Ich persönlich würde übrigens die Stichworte bevorzugen. Die Rückmeldung einer KiTa hat mich dabei besonders gefreut: Seit alle Elternbriefe in Leichter Sprache verfasst sind, melden sich deutlich mehr Eltern zu den Arbeitseinsätzen an. Offensichtlich hatten viele Eltern die Elternbriefe vorher gar nicht verstanden oder gelesen. Es profitieren also nicht nur die Adressaten, sondern auch die Absender von einer gut verständlichen Sprache. Dabei sollten wir aber immer darauf achten, unsere Zielgruppe im Blick zu behalten. So finde ich es zwar grundsätzlich gut und wichtig, dass es vor Bundes- und Landtagswahlen inzwischen von vielen Parteien Wahlprogramme in Leichter Sprache gibt. Wenn diese aber einfach eine 1:1 Übersetzung des normalen Wahlprogramms sind, hat das Wahlprogramm aufgrund der Gestaltungsregeln der Leichten Sprache ganz schnell 50 Seiten oder mehr. Ich glaube nicht, dass irgendjemand, der nicht gut lesen kann oder nur bruchstückhaft Deutsch versteht, so ein umfangreiches Dokument auch nur zur Hand nimmt. Wir müssen also mutig sein und Inhalte kürzen, wenn wir diese Menschen wirklich erreichen wollen. Denn nur, wenn wir es ernst meinen mit der Vereinfachung, tragen wir mit Leichter Sprache zu mehr Selbstbestimmung und echter Teilhabe vieler Menschen bei. Die Beteiligung möglichst vieler wiederum ist wichtig für eine funktionierende Gesellschaft. 

Immer wieder gibt es auch Menschen, die sagen, Leichte Sprache degradiere das elegante Deutsch der Dichter und Denker, klinge merkwürdig und behandele Erwachsene wie Kinder. Was sagen Sie solchen Kritikern?
Anne Badmann: Ich denke, vielen ist gar nicht klar, wie sehr wir unbeabsichtigt über Sprache Menschen ausschließen. Wir sehen es den Menschen schlichtweg nicht an, dass sie nicht lesen können, wenig Deutsch verstehen oder ein geringes Bildungsniveau haben. Diese Menschen können im Gegensatz zu einer Person im Rollstuhl ihre Schwäche gut verbergen. Wir wissen aber, dass sie weniger am gesellschaftlichen Leben teilhaben. Sie engagieren sich zum Beispiel weniger politisch oder in Vereinen. Dabei können wir durch Anpassung unserer Sprache ganz einfach dafür sorgen, dass sie dabei sein können. Es ist wie mit einer Rampe am Eingang zum Rathaus. Die Rampe macht das Rathaus nicht schöner. Aber sie sorgt dafür, dass niemand ausgeschlossen wird. Alle sollen die gleichen Möglichkeiten haben. Darum muss es uns gehen. 

Informationen in Leichter Sprache zu gesellschaftlichen und religiösen Themen, zu Selbstbestimmung und Alltagsfragen sowie zu Veranstaltungsterminen und Kursangeboten gibt es auf der Webseite: https://www.leichte-sprache.online/

Annette Krumpholz
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Anne Badmann an ihrem Schreibtisch im Büro. Sie trägt einen roten Pullover, lächelt und hat die rechte Hand auf er Computer-Mouse liegen. Vor ihr steht auf dem Schreibtisch ein großer Monitor, auf dem wiederum die Webseite Leichte-Sprache.online geöffnet ist. Davor liegt eine Computer-Tatstatur. Im Hintergrund ist ein Fenster.
Anne Badmann ist Referentin für Leichte Sprache, ©Sabine Tomasko

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